In diesem Artikel möchte ich einmal aufzeigen, wie Arbeitsplätze in der westlichen IT aus Sicht der Beschäftigten oft aussehen und wie Sie besser sein könnten. Da das Thema sehr umfangreich ist, habe ich den Beitrag auf zwei Artikel aufgeteilt. Zunächst möchte ich aufzeigen was falsch läuft und in einem zweiten Teil beschreibe ich, wie eine bessere IT-Welt aussähe.
Über die unsäglichen Zustände in der IT in Asien und Dritte-Welt-Ländern wird viel berichtet (siehe z.B. blog.faire-computer.de). Aber haben wir im Westen wirklich eine solch heile Welt in der IT? Macht die westliche IT womöglich sogar ihre Arbeitnehmer gesund?
Da ich selbst tief aus der IT komme, möchte ich allein nur etwas aus meiner eigenen Laufbahn und der von Freunden berichten, die allesamt in Deutschland arbeiten. Aus Datenschutzgründen werde ich weder Personennamen noch Firmennamen nennen:
Als Jugendlicher war ich noch richtig fasziniert vom Internet und erkannte früh, ja im Vergleich zu vielen Politikern irrsinnig früh was das Internet für ein Potential hat und war immer mehr von IT begeistert. Die Berufsaussichten waren glänzend und gut bezahlt sei es auch hörte man überall.
Die Schattenseiten, die sehr mächtig sind, offenbarten sich mir erst als Diplom-Informatiker. Schon während dem Studium bekam ich mit, wie einem Bekannten per SMS am letzten Urlaubstag mitgeteilt wurde die Firma wäre Pleite. Ist das ethisch?
Ein anderer Bekannter der genauso wie der oben Erwähnte im übrigen exzellente Noten hatte und auch Diplom-Informatiker war, war ebenfalls plötzlich nach 2 Jahren im ersten Job arbeitslos.
Ein guter Freund, ebenfalls Diplom-Informatiker und ebenfalls mit sehr gutem Abschluss, hatte etwas mehr Glück er hat bei einem großen Konzern im Bereich Mobilkommunikation angefangen. Dieser Konzern hat leider gewisse neue Megatrends knallhart verschlafen und ist praktisch nicht mehr existent, so dass eben dieser Freund nach 8 Jahren (fast eine Ewigkeit in der IT), ebenfalls arbeitslos war und das sogar ein halbes Jahr, da durch die Schließung einer entsprechenden Niederlassung zur selben Zeit sehr viele ähnlich qualifizierte Spezialisten in der gleichen Region arbeitssuchend waren. Laut seinen Berichten hat der Konzern bis 2 Wochen vor der Niederlassungsschließung noch höchstqualifizierte Mitarbeiter eingestellt und diesen sogar den Umzug durch halb Deutschland finanziert. Ist das ethisch oder sozial? Kann man mit Geld alles kaufen?
Schauen wir einen anderen Fall an: ein höchstqualifizierter IT-Ingenieur mit Migrationshintergrund (lebt aber seit 20 Jahren in Deutschland und spricht sehr gut Deutsch) und diversen Zusatzabschlüssen. Er berichtete mir von diversen und immer wieder kehrende Anfeindungen wegen seiner Herkunft. Auch hat er mir berichtet, dass er egal wo er arbeitete oft das letzte Rad am Wagen ist und daher meist zu den ersten gehört die wieder aus einer Firma fliegen. In einem Job hat man ihn sogar nur eingestellt um bestimmte Fördergelder einzustreichen. In einem anderen Job war die Stellenanzeige falsch, was ihm Ende immerhin nach zwei Monaten „im falschen Job“ einen Aufhebungvertrag eingebracht hat.
Das ist defintiv nicht ethisch und eine Schande für Deutschland, dass wir höchstqualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande so behandeln.
Oder noch ein skurriler Fall: eine Ex-Freundin eines Freundes, durfte als BA-Studentin in ihrer ersten Praxisphase – angeblich aus Platzmangel – bei einem sehr renommierten Software-Dienstleister für große Banken mehrere Wochen in einem fensterlosen Kellerraum programmieren.
Ich selbst durfte übrigens in meinem allerersten IT-Praktikum mehrere Wochen direkt neben einem offenen Testserver arbeiten und kann mich noch dran erinnern, wie ich abends immer mind. 30 Minuten noch Ohrenklingeln von dem staubsaugerartigen Geräusch hatte.
Mir selbst als Freiberufler heute passiert es immer wieder, dass ich mein Geld aus korrekt erledigten Aufträgen über Monate nicht bekomme. Sobald man Schwäche zeigt hat man verloren, es ist immer schon ein Stärkerer da. Laut einer Studie sind Zahlungszeiten von 10-12 Wochen derzeit in Deutschland usus, obwohl die Rechnungen für gewöhnlich maximal 4 Wochen Zahlungsfrist ausweisen. Wer schlau ist arbeitet also nur mit Vorauskasse oder hohen Anzahlungsbeträgen.
Und selbst die ITler die sich in Deutschland irgendwie in ihren Job eingefunden haben, kämpfen mit Überstunden, komischen Ideen von Chefs oder sozialer Isolation.
ITler zu sein – da sind andere Naturwissenschaftler leider ähnlich betroffen – hat u.a. den Effekt, dass kaum jemand versteht was du machst. Es bringt das Problem mit sich, dass man in extrem Männerlastigen Arbeitsumgebungen steckt, dass die Maschinen auf dich letztlich abfärben und dass du einfach eine Problemlöse-Maschine bist (Programmierer ganz besonders). Wer das alles nicht durch eine fantastische Familie, eine großartige Frau oder super Freunde abpuffern kann, hat spätestens mit Mitte 40 den Burnout und das große Erwachen.
Das verrückte dabei ist: hier im Westen ist die Entlohnung in der IT ja sehr gut. Nur man muss die Frage stellen: ist Geld wirklich alles? Wäre es nicht schlauer etwas kleinere Gehälter zu zahlen, aber dafür die Arbeitsbedingungen humaner zu gestalten?
Auch das Frauen die IT meiden, liegt in oben genannten Problemen begründet. Auf das Weite und noch sehr unerforschte Feld von psychischen Effekten die durch IT induziert werden (u.a. IT-Phobien, krankhafte Änderungen im Sozialverhalten), gehe ich bald in einem weiteren Beitrag detailliert ein.
Ganz am Ende noch was für die Informatik-Professoren und -Lehrer: anstatt wie mit Drogen aufgeputscht mit den vermeitlich tollen Seiten der IT junge Menschen in die digitale Falle zu locken, erzählen sie mal von den Schattenseiten der IT und klären Sie die jungen Leute systematisch über ihre Arbeitsrechte im Detail auf, das würde der ganzen Branche guttun.
Leser die noch tiefer in das Thema einsteigen möchten oder mir keinen Glauben schenken, sei eine brandaktuelle Studie von Verdi ans Herz gelegt:
„Die Arbeitsbedingungen in der IT-Dienstleistungsbranche aus Sicht der Beschäftigten“.